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1953 aus dem Pressarchiv

Verlag und Vertrieb Landsmannschaft Ostpreußen e.V., Hamburg

Terror auf Rügen

Massenverhaftungen und Enteignungen im Zeichen des „sozialistischen Aufbaus“

….Nicht, dass man uns aus den Häusern weist, uns unser Eigentum nimmt, ist das schlimmste…. Wir wussten ja: über kurz oder lang hatten wir das alle, die wir zum Bleiben entschlossen waren, zu erwarten….Aber, dass man die Familien auseinanderreißt, dass man uns wie Verbrecher behandelt und irgendwohin verfrachtet, wo man gerade Arbeitskulis braucht –das kommen zu sehen und einfach auf uns zu nehmen, waren wir nicht apathisch, nicht mürbe genug…“ Diese Aussage eines Balten, der mit einer Segeljolle nach Schweden floh, ist genau vier Jahre alt. Und vier Jahre hat dieser Terror gebraucht, bis er im Zuge der planmäßigen Einbeziehung Pommerns und Mecklenburgs in sowjetischen Ostseewall auch über die Küste von Rügen brandete und die größte deutsche Ostseeinsel einbezog….

Im vergangenen Sommer bemächtigte sich der Menschen auf Rügen allgemeine Unruhe, als ein 5 Kilometer breiter Streifen entlang der Küste zur „Schutz- und Verteidigungszone“ erklärt wurde und die Badeorte selbst politisch überprüften Gewerkschafts- und Parteimitgliedern nur noch begrenzt zugänglich waren. Im November 1952 erhielten die Pensionshäuser als Vertragsheime der staatlichen Versicherungsorganisation eine fristlose Kündigung der für 1953 abgeschlossenen Verträge. Gründe dafür wurden nicht genannt. Im Januar wurden dann – wiederum ohne Angabe von Gründen – auch die Zusagen an „volkseigene“ Betriebe und an den kommunistischen FDGB zurückgezogen. Aus vertraulichen Anweisungen ging eindeutig hervor, dass die Insel für die Aufstellung und Ausbildung der „Nationalen Streitkräfte“ vorgesehen war.

Mitte Februar setzte denn schlagartig eine „Großaktion zur Säuberung“ der Insel ein. Auf der einen Seite sollte Rügen als vorgeschobener Stützpunkt der sowjetischen Flottenbasis von den „reaktionären, unzuverlässigen Elementen“ gesäubert werden; auf der anderen Seite sollten Unterbringungsmöglichkeiten zu schaffen für die …wachsenden Regimenter, die im Raum .. Wismar und Odermündungsgebiet bereits seit einiger Zeit die sowjetzonale „Nordarmee“ bilden. Alle bekannten Bade- und Kurorte wurden in diese Aktion einbezogen: von Göhren bis Sassnitz, von Arcona bis Freesenort poltert es tagaus, tagein an unzähligen Türen: „Aufmachen – Kontrolle der Volkspolizei!“

Jede Haussuchung erfolgte nach dem gleichen Chema und im selben Stil. Alles, was über den täglichen Bedarf hinausgeht, wird als gesetzwidrig gehortete Menge bezeichnet. Bei 5 Pfund Zucker oder Nährmitteln in der Vorratskammer fiel bereits das Wort „Wirtschaftssabotage“. Selbst den Inhabern größerer Betriebe wurde es als Verstoß gegen die Währungsbestimmungen angekreidet, wenn man mehr als 100 Ostmark bar findet. Der Besitz von einigen Kilo Hühnerfutter war ein „Wirtschaftsverbrechen“. War die Haussuchung beendet, wurde ein Protokoll angefertigt, das die Betroffenen unterschreiben mussten.

Vor uns liegt ein Augenzeugenbericht über die „Sonderaktion“ in G ö h r e n. Danach fuhren dort gegen Abend vor dem Alten Dünenhaus mehrere Omnibusse mit etwa 80 Zivilisten vor, Angehörige des SSD, die bereits am nächsten Morgen ihre Tätigkeit aufnahmen. Sie bestand darin, dass zunächst je 4 Mann in alle Hotels und Pensionen eindrangen und strenge Kontrollen durchführten. Nach Haussuchungen und Verhören, die oft mehrere Tage andauerten, wurden die Häuser bis auf einen Wohnraum versiegelt und alle Bewohner unter Bewachung in diesem Zimmer zurückgelassen. Spätestens 24 Stunden später folgten die Verhaftungen, übrigens ohne jeden Haftbefehl. Die Sperrung der Bankkonten der einzelnen Familien geschah automatisch.

Weder Kinder noch Greise wurden verschont. Als z.B. der Besitzer des Hotels „Strandeck“ Hans Richter, und seine Frau abgeführt wurden, blieb ihr eineinhalbjähriges Mädchen in der „Obhut“ des SSD zurück. Das gleiche Schicksal traf den vierjährigen Karsten Buhe, dessen Eltern „Wendt`s Hotel“ gehört. Karsten wurde nach der Verhaftung seiner Eltern zu seiner Großmutter nach Binz gebracht. Als man auch diese spätere abholte, schaffte man den Buben zu entfernten Verwandten. Andere Kinder kamen direkt ins Waisenhaus. Den Besitzern des Hauses „Cafe am Hövt“, dem 81 Jahre alten August Koos und seiner schwerkranken bettlägerigen Frau, erlaubte man bei ihrer Verhaftung nur die Mitnahme einer Garnitur Wäsche.

Das „Dünenhaus“ als SSD-Hauptquartier war für die in Göhren Verhafteten lediglich eine Zwischenstation. Von dort wurden sie mit Polizeiautos nach Sellin gebracht, wo bereits „Volksrichter“ auf sie warteten, um weitere Verhöre durchzuführen. Von Sellin ging es nach Bergen, und von dort entweder direkt zu einem Arbeitseinsatz oder in das Zuchthaus Bützow- Dreibergen.

Die Gesamtzahl der bisher auf Rügen Verhafteten und Verschleppten geht in die Tausende. Noch weiß niemand, wann die „Sonderaktion“ abgeschlossen sein wird. Man weiß nur, dass seit dem Februar die letzten noch in privater Hand befindlichen Hotels, Restaurants, Kurhäuser und Pensionen enteignet und die große Mehrzahl ihrer Besitzer verhaftet wurden. Man weiß auch, dass in allen Fällen angebliche „Wirtschaftsverbrechen“ und sonstige „Vergehen“ nur als Vorwand für diese große „Säuberung im Zeichen des Aufbaus des Sozialismus“ dienten. P.A.

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